BERLIN TALES 13.12.2014
In der Nacht auf Freitag dieser Woche haben Unterstützer des italienischen Streetart-Künstlers Blu die beiden überdimensionalen Murals an der Kreuzberger Cuvrybrache unwiederbringlich zerstört. Zurück blieb nur ein Satzfragment: „Your City“. Seit 2008 und bis letzten Donnerstag prangten an dieser Stelle noch zwei riesige Street-Art-Werke einer kopflosen Figur mit Golduhren wie Handschellen und zweier Gesichter mit Masken. Weltberühmt wurden diese Wandmalereien, in jedem Reiseführer bebildert und beschrieben, ein globaler Zuschauermagnet. Aber die Cuvrybrache ist schon seit ein paar Monaten Geschichte, nächstes Jahr werden hier Neubauten entstehen. Wohl aus Befürchtung, künftige Investoren könnten auch noch seine Kunst kapitalisieren, kam man nun einer geistigen Enteignung des Werks zuvor und ließ es von Seiten des Künstlers komplett schwarz übermalen. Street-Art ist vergänglich, ja, sie lebt vom temporären Zustand. Dennoch ist diese Aktion bemerkenswert. Ein europäischer Künstler mit Blick von außen fragt und mahnt: Ist das noch Eure Stadt?
Ich möchte diese Frage für mich aufgreifen. Ich bin ein Kind der Nachwendezeit. Das heißt, für die ganz wilden Jahre in Berlin nach dem Mauerfall war ich damals noch zu jung (wer dafür ein Gefühl bekommen möchte, dem sei der schöne Bildband „Berlin Wonderland“ ans Herz gelegt). Die Untergrund-Reviere waren schon markiert, als ich Ende des 20. Jahrhunderts in meine erste WG nach Prenzlauer Berg zog. Und obwohl damals bereits die Vorboten der Gentrifizierung zu erahnen waren (es vollzog sich damals das erste Clubsterben der Nachwendezeit in Mitte), berauschten wir uns an den vielen Freiräumen für Freigeister aller Art. Illegale Clubs und Bars, Kinos in verfallenden Abrisshäusern, die provisorischen Strandbars, aus denen später Clubs wurden, das Tacheles, die Alte Eisfabrik, die letzten noch besetzten Häuser in Prenzlauer Berg und Friedrichshain und, und, und… Als damals eine Grünfläche neben dem Bahnhof Friedrichstraße mit Büros und Geschäften bebaut werden sollte, gingen fast 10.000 Menschen (erfolglos) für eine Stadt voller Freiräume auf die Straße… Heute wahrscheinlich unvorstellbar?!
Reclaim the Streets hieß eine beliebte Aktionsform, quasi als Vorläufer neuzeitlicher Facebook-Flashmobs: Man verabredete sich per SMS zu belebten Straßenkreuzungen und besetzte sie in einer konstatierten Aktion mittels Sofas, gespannten Hängematten und Liegestühlen. Diese Stadt, die gehört uns allen, und nicht nur denen, die vom Kapitalismus profitieren, das wollten wir zum Ausdruck bringen. Nur: In Berlin wurde der Kapitalismus lediglich aufgehalten, er wurde hier nie besiegt. Durch unklare Eigentumsverhältnisse und der Scheu des Kapitals, in das chaotische Berlin zu investieren, bekam die kleine gestattete Anarchie für ein paar Jahre Artenschutz. Spätestens mit dem Berlin-Hype seit der WM 2006 und dem Einzug der Generation Easyjet war es damit aber vorbei.
Klar, es gibt noch Freiräume in Berlin. Kunst in alten Stadtbädern oder Fleischereien, Tanz in Industrieruinen, Open-Airs an ungewöhnlichen Orten… aber all das ist überschaubar und berechenbar geworden. Die Szene zieht jetzt nach Leipzig, sagt man, da sei es noch so wie in Berlin vor 10 Jahren. Oder gleich ins neuseeländische Christchurch, da sieht es dank eines Erdbebens vor ein paar Jahren so aus wie in Berlin nach dem Krieg und eine freie Kulturszene okkupiert die Ruinen der Innenstadt.
Natürlich, people make a place. Ich lebe immer noch vom und im lieb gewonnenen kreativen Menschen-Netzwerk, das sich durch die Freiräume Berlins in den letzten Jahren und Jahrzehnten hier entwickelt hat. Und die Bebauung des paradiesischen Großods Tempelhofer Freiheit, die haben wir verhindert. Aber was bleibt ansonsten? Hunderte quasi identisch aussehende und den Geist der Nachwendezeit imitierende Ranzbars, in denen das Bier drei EUR kostet. Orte wie das RAW-Gelände oder der Klunkerkranich, die sich zu Food Märkten für Besserverdienende aufhübschen. Eine Club-Szene, die sich am solventen Touri-Publikum orientiert, wenn sie nicht gerade für neue Bürogebäude oder den Autobahnbau abgerissen wird. Gute Aussichten sehen anders aus. Und so hat das freiwillige Entfernen der Häuserkunst an der Cuvrybrache einen höheren künstlerischen Wert als die beiden Murals je haben konnten. Sie halten Berlin den schwarzen Spiegel vor, dass jeder Ort seine Zeit hat, seine 20 Jahre des Ruhms. Und dass die Episode der wilden Jahre in dieser Stadt sich langsam Ihrem Ende entgegen neigt.
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